Routinen – Möge ihre Macht mit dir sein


Frühstücks-Gespräch mit einem Bekannten:
Er hat sich vor drei Monaten einen Thermo-Mix geholt, der nach wie vor bei ihm eingepackt in der Ecke steht. Woran liegt es? An seinem aktuellen Lebensstil: er ist es schon lange gewohnt sich nicht zu Hause zu bekochen, sondern dem Flow im Bekanntenkreis (und der ist groß) zu folgen:
Wenn jemand vorschlägt sich zum Essen zu treffen, ist er immer gerne dabei. Außerdem ist er kein Typ, der einmal am Tag warmes Essen braucht. Wenn sich nichts in Sachen „Essen gehen“ ergibt, kommt er auch mit „kalter Mahlzeit“ leben – „fettes Brot“ eben.
Jetzt wird das hier kein Verkaufs-Pitch für Thermo-Mix. Wir kamen über dieses Thema einfach darauf zu sprechen – wie mächtig Routinen sind.
Es gibt wahrscheinlich wenig, was so viele Pros und Cons mit sich bringt, über die man sich herrlich streiten kann.

Einerseits tun sich Leute, die in Routinen festgefahren sind, unheimlich schwer mit Veränderungen. Damit kommt man spätestens in der zweiten Lebenshälfte ordentlich ins Schleudern, denn die Welt verändert sich ja ganz schön flott weiter. Wenn du dich also nicht gerad irgendwo „in the middle of nowhere“ zurückziehen kannst, wo Hase und Igel sich „Gute Nacht“ sagen, wird es ziemlich schwierig geliebte Routinen ewig genau so weiterzumachen, ohne dass man damit irgendwann von der Welt überfordert ist.
Ich erinnere mich an Kolleg*innen, die zu Beginn meiner Berufskarriere den Umstieg auf den PC als Arbeitsmittel gemacht haben: frustriert mit der Maus auf den Tisch hauend, weil auf dem Bildschirm nicht das passierte, was sie wollten. Da hat sich bei mir eingebrannt, dass ich so nie werden möchte.
Was soll ich sagen? Ich habe in den letzten Jahren auf jeden Fall meine persönlichen Challenges damit kennengelernt nicht als digital Native groß geworden zu sein. Zoom, Teams, Canva, Mailchimp, Slack, Miro, Mentimeter und Co. kamen alle ziemlich zeitgleich in mein Leben. Ich habe mich manchmal ganz schön damit überfordert gefühlt. Jetzt nutze ich sie alle gerne und wenn dann Webex überraschend um die Ecke kommt, kriegen wir das auch im Termin „gewuppt“.
Aber ich durfte mich sehr daran gewöhnen, wie ich eine neue Lernfähigkeit entwickle, seit ich nicht mehr einfach alles direkt ganz selbstverständlich kenne, weil ich damit groß geworden bin.
(Ich kann aber sagen, dass ich dabei nie so weit ausgeflippt bin technische Gadgets auf Tischen zu vermöbeln – I swear!)
Also immer schön die Lernfähigkeit weiterentwickeln. Lebenslanges Lernen #gähn #erzählmirwasneues.
Wenn du allerdings genauer hinschaust, ist unsere „Art zu lernen“ selbst eine unserer Routinen. Manche sind „learning by doing“, andere lesen erst viele Details, wieder andere fragen andere um Hilfe und lassen sich die Dinge zeigen. Und da zeigt dann auch ein Stück weit, die Sache mit den Routinen hat zwei mächtige Seiten:

Denn andererseits brauchen wir Menschen – ALLE! Manche von uns mehr, manche weniger, aber das menschliche Gehirn funktioniert nach Ordnungsmustern. Das einzige Gehirn ohne Ordnungsmuster, ist ein psychotisches Gehirn.
Also, braucht jeder von uns ein Mindestmaß an Struktur, damit wir uns die Welt „erklären“ können. Dabei greift das Gehrin auf Gelerntes zurück und versucht so, Ordnungsmuster auch im Chaotischen oder Unbekannten zu erkennen. So – mehr Ausflug in diese Richtung gibt es zu einem anderen Zeitpunkt.
Worauf ich hinaus will: unsere Routinen sind Ordnungsmuster.
Solche Ordnungsmuster sind letztlich (SEHR, SEHR vereinfacht erklärt) dank seiner Neuroplastizität auch physiologisch als „Denk- und Handlungspfade“ in unserem Gehirn ausgeprägt. Das Denken und Handeln, was wir im Zusammenhang mit Routinen nutzen, ist auf gewisse Weise richtig in unserer Gehirnmasse echt ausgeprägt (noch mal: sehr, sehr vereinfacht ausgedrückt!).
Routinen zu ändern, ist also keine reine Frage der Willenskraft, sondern des bewussten Umlernens oder Neulernens anderer Routinen.
Gleichzeitig braucht unser Gehirn für Veränderungen einen gewissen Orientierungsrahmen.
Diese Kombination macht sich dann besonders beim Verändern bestehender Routinen bemerkbar.
Jetzt schließt sich der Kreis zum Thermo-Mix:
Die Routinen meines Bekannten sind in seinem Gehirn ausgeprägt. Für andere Routinen, gibt es noch keine entsprechenden „Denk- und Handlungspfade“ (Gewohnheitstier und so …). Natürlich können wir anders, handeln, als wir es gewohnt sind, nur sind das nicht die „Handlungspfade“, die unser Gehirn für Standardabläufe nutzt, sondern erst mal Hirnaktivitäten für Ausnahmen.
Wenn er also die Thermo-Mix-Nutzung fest in seinen Alltag integrieren will, darf er sich zum reinen Kauf des Gerätes ganz bewusst Gedanken machen, wie seine aktuelle Routine in Sachen essen aussieht und wie er die ändern will, damit er auch tatsächlich zu Hause kocht (bitte jetzt keine Diskussion, ob Thermo-Mix nutzen auch kochen ist – da ist das hier die falsche Rubrik).
Und dann, geht es darum Fixpunkte zu schaffen, um diese neue Routine zu üben – Stück für Stück.
Denn wir glauben gerne, dass wir das mit Willenskraft schon hinkriegen.
Die ist auf jeden Fall auch ordentlich mit von der Partie – nur allein die Willenskraft, wird deine routinemäßigen Pfade im Gehirn nicht überschreiben. Dazu gehört tatsächlich so eine Art handfestes „Routinentraining“.
Kannst du sehen, wie sich das auf Situationen in deinem Leben übertragen lässt?
Das Fitness-Studio Abo, das evtl. nach ein/zwei Monaten nicht mehr so aktiv genutzt wird, weil sich die Routinepfade in deinem Gehirn vom Energieaufwand her für deinen Körper attraktiver nutzen lassen, als eine neue Routine zu entwickeln. Diesen neuen Pfad im Gehirn zu entwickeln, kostet uns Energieaufwand (ganz handfeste Kcal).
Der Wunsch in den Büroalltag kleine Entspannungsmomente einzubauen.
Kürzlich beschrieb eine Zuhörerin in meinem Vortrag zu „Entspannung im Homeoffice“ für die Stadt Mannheim ihre Erfahrung: sie hätte gute Workshops zu dem Thema Achtsamkeit gehabt – ein zweiwöchiges Seminar besucht und viel gelernt. Aber zurück im Büroalltag sei dann eben doch alles Neue wieder „hinten runter“ gefallen.
Neben den Tools und dem inneren “Wollen“, kommt also noch dazu, bewusst das „Können“ im Gehirn für die Weiterentwicklung deiner Routinen zu unterstützen.
Was heißt das jetzt genau?
- Mach dir bewusst, wie dein aktuelles Routine-Muster, das du verändern willst, konkret aussieht: was daran wird es dir ggf. schwierig machen, die neue Routine zu entwickeln, die du haben willst?
- Wie willst du es haben: Wie genau soll die neue Routine anders sein?
- Kleine Schritte – großer Fokus:
In einem Podcast wurde Andrea Petkovic (ehem. Spitzentennisspielerin) gefragt, wie sie ihr Spiel verbessert hat. Ihre Antwort: „Im Training kleine Veränderungen einbauen, die dann üben, üben, üben und später dann im Match anwenden.“ Es ging dabei nie um große Anpassungen in kurzer Zeit.
Von 0 auf 100 ins Fitness-Studio oder die völlig neue Koch- und Einkaufsroutine kosten Kraft und Energie, die sich fast nie aufrecht halten lässt. Und das sorgt auch nicht schneller für neue Routinen, so gerne wir das auch wollen. Also:
Welche ersten kleinen konkreten Schritte fallen dir ein, um deine Routine in die neue Richtung weiterzuentwickeln?
Welche Details deiner bisherigen Routine wirst du als erstes verändern und wie, damit du die Show-Stopper für deine Veränderung aus der alten Routine abstellst?
Bei meinem Bekannten könnte das z.B. sein, dass er sich ein/zwei Tage fixe Tage in der Woch fest vornimmt, zu Hause mit dem Thermo-Mix zu kochen und dafür im Kalender Terminblocker setzt – inkl. Einkaufen vorab.
(Wobei ich immer noch nicht zu 100 % verstehe, wieso mein Bekannter das Essen gehen mit Freunden gegen die Thermo-Mix Abende zu Hause eintauschen will, aber das ist eine andere Frage…) - Wenn möglich, finde Ankerroutinen:
Am einfachsten ist die Änderung von Routinen, wenn du das Neue an etwas Bestehendes anhängen kannst.
Vorschlag für die Zuhörerinnen in Mannheim war: eine Übung auswählen und an ein wiederkehrendes Regel-Meeting dranhängen. Im Kalender blocken und vom Meeting direkt in die Übung gehen. - Jetzt: Time for tools!
- Zugegeben – die Tools zu kaufen oder das Abo abzuschließen fühlt sich mächtig gut an. Ohne konkrete Ideen, wie du deine Routinen weiterentwickelst, hast du allerdings in den meisten Fällen nach einigen Wochen ein neues Gerät zu Hause oder eine neue Mitgliedschaft auf dem Kontoauszug, ohne dass du dauerhaft etwas änderst.
- Und dann legst du los – mit kleinen Schritten, anstatt direkt mit dem vollen Programm. Du bist erfolgreicher, wenn du Gewohnheiten langsam und kontinuierlich umstellst (vor allem, wenn du es alleine machst – das kann anders sein, wenn du dabei von jemandem begleitet wirst oder Accountability-Partner hast). Es ist erst mal ein Kochabend in der Woche, vielleicht zwei. Es ist eine neue Entspannungsübung am Arbeitsplatz.
Und yes – es ist super wahrscheinlich, dass du nicht gleich perfekt umsetzt, sondern mal Aussetzer hast. Für so was konnte ich mich früher bestens selbst kritisieren, von mir selbst enttäuscht und beleidigt alles in die Ecke packen und das war es dann mit der Weiterentwicklung. Wenn ich das nicht gleich „vernünftig“ schaffe, dann bin ich da wohl falsch.
Kennst du? Es hat ein Weilchen gedauert, bis ich begriffen habe, dass ich mich damit bloß selber vom Weitermachen abhalte. Inzwischen kann ich das anders sehen.
Try.Fail. Try again. Fail better. Ich hänge die „Aussetzer“ nicht mehr so hoch. Es ist alles erlaubt, solange ich zeitnah wieder zurück ins Üben gehe. Klappt für mich ganz gut.
Bei solchen Aussetzern hilft auch die Energie weiter, die du sparst, wenn du nicht sofort versuchst „ab jetzt alles anders“ zu machen:
Wenn du kleiner startest, hast du mehr Kraft und weniger Aufwand für den nötigen Fokus, um diszipliniert dranzubleiben. Wenn du es trotzdem auch mal nicht schaffst, hast du mehr Kraft und Energie, um zurück in dein „Routinetraining“ zu kommen und, weil die Schritte, mit denen du startest, nicht zu groß sind, brauchst du auch weniger Kraft um wieder reinzukommen.
Manchmal ist auch das Entwickeln „guter Routinen“ an sich schon ein cooles Training für Fokus, Disziplin und Zufriedenheit mit sich selbst. Das kann auch etwas ganz Kleines sein.
Jeden Tag das Bett zu machen war auch schon Teil des ein oder anderen Coachings bei mir. Es hat dabei zwischen sechs Wochen und drei Monaten gedauert, bis es für die Kunden zur neuen Normalität wurde. Jeder ist da anders und braucht auch eine andere Zeit, um sich neue Routinen aufzubauen. Dabei haben sich sie drei verschiedenen Phasen gezeigt:
- Ich mache das, für Jana – weil sie mich zwingt ihr dieses Foto vom gemachten Bett zu schicken.
- Ich mache das für mich – weil ich merke, dass ich danach mit mir zufriedener bin.
- Wieso ich das machen? Ich verstehe die Frage nicht mal mehr.
So können Routinen einerseits echte Killer von Veränderung sein. Andererseits geben sie dabei aber auch Halt und sind mächtige Verbündete, um uns gezielt aus bestehenden Routinen heraus weiterzuentwickeln.
Ein kleiner Zusatz noch: wenn es um versteckte Suchtaspekte geht ( z.B. Kummer-Essen, Alkohol-Routinen, Zucker-Konsum, Social Media) braucht es mehr als die Änderung der Routinen und die nötigen „handfesten“ Tools. Da darf man die körperliche Abhängigkeit und seelisch bedingte Trauma-Responses in Kombination mit klassischer Konditionierung nicht ignorieren. Doch die bewusste Änderung von Routinen ist auch hier ein Teil der Lösung. Ich will nur nicht, dass sich jemand davon die falsche Magie verspricht.
Ich hoffe, du konntest hier ein paar Gedanken finden, die dir dabei helfen, Routinen, die du gerne ändern möchtest, in deinem Leben weiterzuentwickeln. Wie so oft läuft das von innen nach außen: Mindset vor Methode.